Wer oder was ich nicht sein möchte in Indien..

Liebe Freunde und Wegbegleiter,

mit einigen Gedanken zum Jahres-Wechsel melde ich mich wieder, kritische Gedanken vielleicht, aber auch wichtige, um die Notwendigkeit unseres in Indien-Seins zu unterstreichen.

 

Wir sind in wechselnder Besatzung (Hanka John, Teresa Zepp, Josef Malat und ich) nunmehr seit fünfeinhalb Monaten im Land, haben viel gesehen, viele Überlegungen angestellt und ausgetauscht       und - bis auf den Container - relativ wenig bewegt, außer uns selbst auf nicht enden wollenden Reisen zwischen Pondicherry, Madras, Viluppuram und Anaiyeri, die, am Ende mit dem von AVG-Trier gestifteten PKW, nur nervenzehrend und zum Teil gefährlich waren,  aber doch mit der Anlieferung des wohlgepackten Container an der Geburtshilfe-Station=MHC belohnt wurden. Daß dies am 22-12-2009 ablief, wurde von uns als Weihnachtsgeschenk, welches wir teuer bezahlten, aber eben als Geschenk wahrgenommen, da erstmals ein Ergebnis unserer Bemühungen deutlich wurde. 

Dieses Geschenk für uns, stellvertretend für die Menschen, deren medizinische Versorgung wir uns zur Aufgabe gemacht haben, ist bezahlt mit Geduldsproben, Irrwegen, Demütigungen, Zeit und am Ende Geld! Dies alles will ich nicht beklagen, weil ich viele mit mir (uns) weiß, die diese Vision, die Welt von einer Stelle aus zum Besseren für die Menschen ändern zu können, auf jede erdenkliche Weise unterstützen.. Nichts wären wir ohne die, die uns begleiten.. Wenn sich die Frauen der umliegenden Dörfer bei mir bedanken, betrachte ich dies immer als Dank an Sie (Euch), die uns (unter)stützen..  
Reisen hinterlassen naturgemäß Eindrücke und wenn man sich in einem Land längere Zeit aufhält und der Bewegungsradius kleiner wird, werden die Eindrücke eindringlicher.  Und man beginnt, seine Herkunft  unter anderen (in diesem Falle positiven) Aspekten zu sehen. 
In unserer Straße in Pondicherry ist seit einigen Tagen Großräum-Aktion in Sachen Müll! Erstaunlicherweise scheinen die Inder so etwas wie Winterputz  - oder "nach Monsun-Reinigung" - zu kennen. Die Straße ist  frei von Unrat, herumliegenden Steinhaufen und sonstigem Dreck. Ich staune und frage mich, wie lange das wohl so bleiben wird - oder kann. 
Dem Straßenköter, der zunächst von Daniela und Hanka liebevoll  von Läusen. Flöhen und Zecken befreit worden war, werden all diese umgebenden Aktivitäten sicher egal sein, denn er hat - von vielem geheilt - jetzt die Räude und langsam kein Fell mehr. Das eine verloren, das andere eingetauscht. Was besser ist, kann ich nicht entscheiden. Am besten wäre nichts von allem. Das wäre aber vielleicht das Hunde-Paradies - und das gibt es nicht. Also, Straßenhund möchte ich nicht sein. Diese Freiheit ist an Bedingungen geknüpft und so nicht wünschenswert.  
Die heiligen Indischen Kühe, die von einem Großteil der Restwelt auf irgendeine Weise bewundert werden, haben im Grunde auch ein Dasein, das ich nicht teilen wollte: Sämtliche Müllberge werden von den streunenden Kühen auf Freßbares durchwühlt.. Welch ein kuhunwürdiges Dasein! Und wie kaut man Plastiktüten wider? Nein, Kuh ist auch nichts.  
Heute bin ich, die Kanal-Straße entlanglaufend, die durchaus wegen des Verlaufs durch die Stadt und wegen des von ihr ausströmenden Gestanks den richtigen Namen trägt, an einer - Hütte ist übertrieben - vorbeigekommen (von dieser Art Behausung ist die Stadt neben allem Reichtum voll), in der nackte Kinder einen alten Fernseher liebevoll streichelten. Es gibt nicht Elektrizität in diesem Bereich. Welche Phantasien mögen diese Kinder gehabt haben - oder haben? Und es gibt Millionen solcher Kinder.. Mit meiner abendländischen Kultur-Prägung ein nicht erträglicher Gedanke für Eltern. Vater möchte ich nicht sein in dieser Welt voll Dreck, Armut, Smog und Perspektiv-Losigkeit.. 
In Pondi gibt es "Le Café", ein vierundzwanzig Stunden geöffnetes Lokal direkt am von Nach-Tsunami-Steinverschandeltem Strand, in dem sich erstaunlich viele Indische Familien niederlassen. In der Regel sind die Ehepaare in Begleitung zweier Kinder - oftmals Mädchen, die vor Luxus (Sonnenbrillen) und Fett (Übergewicht) strotzen, Digital-Cameras mit sich schleppen und von allem genug haben. Vor allem aber sichtbar sich selbst genügen. Was einerseits durchaus erstrebenswert scheint, ist angesichts der allfälligen Armut ein Affront. Ich möchte nicht  Elternteil sein für diese Kinder - und verantwortlich für ein derartiges Verhalten sein müssen. 
In Herrn Arokiasamys Haut möchte ich auch nicht stecken: Aus der "No-Problem-Veranstaltung" des MHC ist ein mit diversen Verzögerungen versehenes Vorzeige-Objekt geworden, dessen Baufortschritt jetzt auch von  einem nach Hintergründen fragenden Arzt behindert wird, der sich von Architekten und Installateuren kein X für ein U vormachen läßt und noch dazu Argumente hat, warum etwas so oder so und nicht  anders ist. Da wird der "Plumber" böse und ruft Samy an, um sich zu beschweren. 
Kenne ich, gab´s öfter im Kemperhof zu Zeiten von Herrn Hühnerfeld, dem Schreiner, aber insbesondere Bütten-Redner, der es nicht ertragen konnte, daß ein Arzt tatsächlich was von Handwerk versteht.  
Nein, unter den gegebenen Umständen, mit diesem Deutschen im Nacken, möchte ich kein Indischer Installateur sein. Das würde mich zu sehr in meinen Vorstellungen, ein Haus mit vielen Löchern zu durchbohren, stören. (Daß dies beim üblichen Haus-Bau kein Problem darstellen mag, ist unstrittig.)   Und langsam, ganz langsam, werde ich fern von meinen angestammten Menschen und Plätzen  ein mit der Deutschen Umgebung zufriedener Mensch, der lernt, Positives zu bemerken. 
Und so bin ich den Indern zweifach dankbar: Für die Möglichkeit, Neues zu erfahren und die Gelegenheit, Vertrautes zu schätzen..  Entwicklungshilfe ist nie einseitig. In meinem Alter an den Anfang des Lebens treten zu dürfen ist ein Geschenk.      Und ich danke allen!  

Möge das Neue Jahr allen Gutes bringen! 

Ihr Dr. W. Donné

P.S.: Auf einen Report wie bisher habe ich verzichtet. Die Neuigkeiten sind über die Bildergalerie oder die Forum-Einträge von Hanka John nachvollziehbar. (Die Internet-Geschwindigkeit verhindert mitunter zeitnahes Reagieren.)
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